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Anorexia religiosa – Spirituelle Ernährung

Nach Aussagen der Sekteninformation NRW sind seit einigen Monaten Aktivitäten der Gesellschaft Universal Medicine (UM) im Köln-Bonner Raum zu beobachten. Die von dem ehemaligen Tennistrainer Serge Benhayon  begründete Lehre hat ihren Ursprung in Australien.  Dort setzen sich die Medien schon seit mehreren Jahren äußerst kritisch mit dem von der UM propagierten Weltbild auseinander.  Da sich aus den Glaubensinhalten Benhayons Konsequenzen für den Umgang mit Essstörungen wie der Anorexia nervosa (Magersucht) ergeben können, kann es auch für Eltern und Lehrer*innen lohnenswert sein, sich mit Inhalt und Herkunft dieser Lehre vertraut zu machen. Spirituelle Ernährung – eine Gefahr also?

Ernährung

Auf den ersten Blick handelt es es sich bei den Ernährungsempfehlungen der UM nur um eine weitere „gesunde Diät“. So wird der Genuss von Alkohol, Opiaten, Marijuana, Koffein und Zucker entraten und ebenso ein übermäßiger Fleischkonsum; so weit so grundsätzlich sympathisch. Eigenartiger bereits mutet der empfohlene Verzicht  von sämtlichen glutenhaltigen Getreideprodukten und Milcherzeugnissen an. Geht man von der allerdings sehr umstrittenen Zunahme von Glutenallergien und den für alle menschlichen und tierischen Beteiligten unwürdigen Zuständen in der Milchwirtschaft aus, könnte man Benhayons Lehre noch immer etwas Positives abgewinnen. Andererseits tauchen bereits hier die ersten Widersprüche aus, denn die von der Universal Medicine empfohlene Diät ist nicht vegetarisch. Der Konsum von Lamm-, Känguru- und Rindfleisch ist  grundsätzlich gestattet, doch nur in Verbindung mit bestimmten Gewürzen, da nur auf diese Weise der „Fluß der Seelenenergie“ im Konsumenten nicht behindert wird. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass die Universal Medicine keine mehr oder weniger wissenschaftlich oder ethische basierte Ernährungsweise propagiert, sondern ihren Anhängern nur solche Nahrungsmittel empfielt, die aus religiösen oder spirituellen Grundsätzen akzeptiert oder abgelehnt werden müssen.

Religiöse Ernährungslehren

Religiös fundierte Ernährungslehren sind nicht  ungewöhnlich. Juden und Muslime essen kein Schweinefleisch, Hindus kein Rind und viele Buddhisten lehnen den Konsum von tierischer Nahrung vollständig, zumindest aber den Fleischkonsum, ab. Auch verbotene oder gebotene Kombinationen von Nahrungsmitteln sind bekannt, so ist Juden der Konsum von Fleisch und Milch zwar grundsätzlich gestattet, aber nicht zur gleichen Zeit miteinander kombiniert.

Zusätzlich findet sich in den meisten Religionen auch ein mehr oder weniger ausgeprägtes Verbot von Rauschmitteln oder zumindest deren übermäßiger Gebrauch. Bis hierin unterscheidet sich die von Universal Medicine empfohlene, nicht von anderen Glaubenslehren. Die genannten religiös fundierten Ernährungsweisen sind zwar samt und sonders nicht logisch, historisch oder wissenschaftlich herleitbar, aber sie haben trotzdem eines gemeinsam: sie gefährden den Konsumenten nicht, sondern sorgen trotz möglicher Einschränkungen im Genuss für eine ausgewogene Ernährung. Solange also die Diätempfehlungen der Universal Medicine eine solche ebenfalls gewährleistet, wäre also nichts gegen sie einzuwenden, aber ist dem so?

Böse, pranische und feurige  Nahrungsmittel

Betrachtet man das Nahrungsmittelsystem Benhayons, so wie es sich aus seinen oder den Schriften seiner Anhänger entnehmen läßt, genauer, kommen hieran rasch Zweifel auf.
Grundsätzlich werden Lebensmittel in drei aufsteigende Kategorien aufgeteilt, die von den Anhängern der Universal Medicine als böse, pranisch und feurig bezeichnet werden. Böse, also vollständig verbotene Substanzen, sind aufsteigend Marijuna, Alkohol, Opium und Heroin und Koffein. Nun gut, auch wenn diese besondere  Reihenfolge der Rauschmittel von ganz schlecht bis zumindest etwas weniger schlecht verwundert: Warum zum Beispiel sollte Alkohol schädlicher oder „böser“ als Heroin sein?  Auch hier mag man  noch die Achseln zucken und vorsichtiges Einverständnis zeigen, denn gesund ist tatsächlich keine der aufgelisteten Substanzen, in welcher Reihenfolge auch immer. Benhayons Begründung für deren Ablehnung und ihre Bezeichnung ist jedoch nicht medizinischer, sondern rein spiritueller Natur:

Evil is that which separates you from your divine essence. The intent of each food/herb on this list does exactly this.

Böse ist das, was dich von deiner „göttlichen Essenz“ trennt. Die aufsteigende nächsthöhere Kategorie erlaubter und verbotener Nahrungs- und Genussmittel wird von Behayon als „pranisch“ bezeichnet.

Der Begriff „prana“ bezeichnet im altindischen Sanskrit den „Lebenshauch“, die „Lebensenergie“ oder schlicht den „Atem“; nach dem entsprechenden Eintrag in der Encyclopaedia Britannica ist „Prana“ schlichtweg ein Synonym für das menschliche Selbst, ein rundherum positiver Begriff also. Nicht so in den Überlegungen Benhayons:

Pranic foods hinder the flow of the light of the soul in the body. They impose a flow of energy in the body that is not our true state of being.

„Pranische Nahrung“ führt dem Körper also rohe, wir können ergänzen, aus Materie durch Verdauungsvorgängen gewonnene Energie zu, was jedoch unerwünscht ist, weil der Körper sich eigentlich einem „Energiefluss“ gegenüber öffnen soll, der aus der Seele in ihn einströme. Deutlicher wird diese Differenz noch, wenn man Benhayons Definition der höchsten, also wertvollsten Nahrungsmittel, hinzuzieht:

Fiery foods help you to re-create a fibrous body of love & light – the body of the Soul on earth. Always be very present when you cook to raise the energy in the food. Be aware that raw food causes damp.

Das Ziel der Ernährung besteht also nicht darin den gegebenen materiellen menschlichen Körper zu erhalten, sondern ihn in den einen faserigen, durchlässigen „Seelenleib“ aus Liebe und Licht zurückzuverwandeln, der er einstmals war. Ein weiteres und genaueres Eingehen auf die erlaubten und weniger erlaubten Nahrungsmittel im einzelnen erübrigt sich an dieser Stelle, denn aus der bloßen Beschreibung der Nahrungsmittelkategorien läßt sich ablesen, dass die Ernährungslehre Benhayons von einem gnostischen und körperfeindlichen Weltbild geprägt ist.

Sie zielt nicht darauf ab, den vorgefundenen menschlichen Körper gesund und leistungsfähig zu erhalten, sondern ihn durch eine gezielte Diät in etwas anderes, eine andere Art der  Körperlichkeit  zu verwandeln, welche seiner unsterblichen Seele angeblich angemessener sein soll. Übermäßige  materielle Nahrung behindert den Körper in dieser Entwicklung und muss durch geistige, luftige, feurige Nahrung ersetzt oder zumindest, wo es möglich ist, ergänzt werden.

Spirituelle Ernährung

Benhayons Ernährungslehre kann ihre Herkunft aus der japanischen Makrobiotik, die ebenfalls ungekochte, rohe Nahrung ablehnt, weil sie Kälte und Schwere (englisch damp) für krankheitsfördernd hält, und der indischen ayurvedischen Medizin nicht verleugnen, aber sie  kombiniert sie mit einem der europäischen Antike entlehnten, gnostischen Weltbild.

Die Gnosis verstand  die materielle Welt und den materiellen menschlichen  Körper als (moralisch) minderwertig und lehnten ihn und seine körperlichen Regungen ab. Als wertvoll wurde nur die unsterbliche Seele angesehen und diese zu vervollkommnen.  Die Aufgabe des Mensch bestand also darin, sich durch Erkenntnis (Gnosis) über die Welt zu erheben und letztendlich seine Seele zu Gott führen. Die Seelen derjenigen, die sich nicht um diese Gnosis bemühten, wurden wiedergeboren, ein Konzept, das die Universal Medicine ebenfalls verkündet, mit dem Unterschied nur, dass hier weniger die falsche Einstellung, als viel mehr die falsche Ernährung zu dauerhaftem Leid führt.
In einer Zeit, in der sich immer mehr Menschen in beinahe ehrfürchtiger Weise mit dem Thema Nahrung und Ernährung auseinandersetzen, stellt Benhayons spirituelle Lehre eines spezifischen Nahrungsmittelverzichtes eine nicht zu unterschätzende Gefahr dar.


Ernährung und Krankheit

In diesem Zusammenhang wichtig ist  ein potentiell negativer Einfluss der Universal Medicine auf (jugendliche) Menschen mit Essstörungen. Insbesondere an Anorexie erkrankte Menschen leiden häufig unter einer Körperbildstörung, die sie  mit ihrem eigenen wahnhaft vergrößert wahrgenommenen Körper konfrontiert. Diese könnten leicht für eine Lehre eingenommen werden,  die ihnen eine absolute seelische/geistige Herrschaft über den Körper verspricht. Der Körper, sein Form und sein Gewicht erschienen ihnen dann nicht mehr als ein Schicksal,  gegen das man sich verzweifelt und oft erfolglos zur Wehr setzen muss, sondern als eine Hülle oder ein Kokon, der zugunsten eines feurigen und damit schwerelosen Lichtkörpers abgestreift und zurückgelassen werden soll.

Der oben beschriebene, gnostische Körper-Seele-Dualismus in Benhayons Lehre führt für diese Menschen möglicherweise in eine so radikale Ablehnung sämtlicher natürlicher Leibempfindungen, dass es im Ergebnis nicht nur zu einer verstärkten Mangelernährung, sondern sogar zu einer spirituell begründeten Lebensgefährdung durch die alleinige Aufnahme von „feuriger Seelennahrung“ kommen kann.

Lehrer*innen sollten mit ihren Schülern, Eltern mit ihren Söhnen und Töchtern nicht nur über Ernährung und Ernährungslehren, sondern auch über spirituelle und religiöse Fragestellungen sprechen, die vor allem in der Pubertät wichtig und handlungsbestimmend werden können.

 

Die englischsprachigen Zitate entstammen der Internetseite

https://onedrive.live.com/view.aspx?cid=EEBAACEA73CD7E87&resid=EEBAACEA73CD7E87%21119&app=WordPdf

Vermerkt ist dort die Herkunft dieser Zeilen als: © copyright Serge Benhayon. This knowledge is based on the work of and by Serge Benhayon and the Hierarchy – Universal Medicine. www.universalmedicine.com.au.

Da die UM in der Vergangenheit äußerst nachdrücklich gegen ihre Kritiker vorgegangen ist, möchte ich betonen, dass sich meine Darstellung der Ernährungsempfehlungen ausschließlich  auf den oben verlinkten Text bezieht. Weitere Quellen ähnlichen oder gleichen Inhaltes sind für jeden im allerdings Internet leicht  ausfindig zu machen.

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